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AutorenbildCéline Akçağ

Sängeralltag, Kapitel 1: Theater

Verallgemeinernd zu beschreiben, wie der Alltag als klassische Sängerin aussieht, kann ich nicht. Der Beruf hat tausend Facetten, und jeder Sänger/jede Sängerin hat eine eigene Art, den Alltag zu bestreiten. Ich möchte aber ein paar verschiedene Alltagsszenarien aus meinem Leben beschreiben, angefangen mit dem Theater.


Die Produktion

Am Theater gibt es, je nach Größe des Hauses, eine bestimmte Anzahl an Produktionen (also an Opern, Theaterstücken oder Balletten), die in einer Spielzeit gezeigt werden. Erstmals entscheidet die Theaterleitung lange im Voraus, was gespielt wird, dann wird gecastet, ein Leitungsteam gesucht, daraufhin erstellt die Regie eine Konzeption (wie das Stück interpretiert und gezeigt werden soll), und bestimmt gibt es noch viele Hintergundaufgaben, die mir noch nicht bewusst sind. Mein Alltag beginnt erst nach diesen Punkten, also nach der Rollenbesetzung.


Schritt 1: Ich lese das (deutsche) Libretto der Oper, also den Text ohne Musik. Dann nehme ich meinen Klavierauszug, markiere, wo ich etwas zu singen habe, übersetze den Text, und lerne die Musik. Das ist der einzige Teil, den man still am Schreibtisch erledigen kann. Je ausführlicher man diesen Teil der Arbeit macht, desto mehr profitieren die anderen Arbeitsphasen davon.



Schritt 2: Nachdem ich meine Rolle nun kenne, arbeite ich technisch und musikalisch daran. Am liebsten mache ich dies in zwei Phasen mit einer längeren Pause dazwischen, damit es sich setzen kann, doch diese Zeit hat man nicht immer. Die Zeitspanne dieses Schrittes kann je nach Komplexität der Musik und Zeitdruck des Terminkalenders sehr variieren, ich würde grob sagen, zwischen einem und sechs Monaten. Den Großteil davon mache ich alleine im stillen Kämmerlein, hole mir aber Unterstützung von Korrepetitoren (Pianisten, die darauf spezialisiert sind, mit Sängern zu arbeiten) und Gesangsprofessoren.



Schritt 3: Die Produktionsphase startet. Durchschnittlich vier bis sechs Wochen lang probe ich von Montag bis Freitag 10-14 Uhr und 18-22 Uhr, Samstags 10-14 Uhr. Das sind hauptsächlich szenische Proben mit dem Regieteam. Wie diese Arbeit genau aussieht, kann man wirklich nicht verallgemeinern. Jeder Regisseur hat eine andere Art, die Proben zu leiten, und verlangt ganz unterschiedliche Dinge von den Sängern. Bei einem Weg von A nach B zum Beispiel gibt es Regisseure, die jede Hand- und Kopfbewegung inszenieren, und Regisseure, die nur einen emotionalen Leitfaden geben und dich selber machen lassen.

Musikalisch geprobt wird manchmal in den ersten Tagen, danach eigentlich erst wieder gegen Ende:

In der Endprobenphase (ca. die letzte Probenwoche) wird zuerst einmal an den Dirigenten übergeben.

Nachdem das Orchester alleine mit dem Dirigenten geprobt hat, kommt die Orchestersitzprobe: Die Oper wird ohne Szene mit dem Orchester probiert.

Dann die Bühnenorchesterproben: Die Oper wird mit Szene und mit Orchester probiert. Dabei geht es hauptsächlich um die Balance zwischen Orchester und Sänger (Beispiel: du bist szenisch weit hinten auf der Bühne: funktioniert das noch mit der Lautstärke?) und das Zusammenspiel von Dirigent, Sänger und Orchester (je nachdem gibt es Stellen in einer Oper, die man auf der Bühne super hört, und manche, die so verwaschen ankommen, dass man ohne den ständigen Blick zum Dirigenten verloren ist). Das sind die Proben, die mich am meisten herausfordern. Mein Anspruch ist es, so gut es geht wie eine Schauspielerin zu agieren. Wenn man gleichzeitig aber auf seine Stimmtechnik achten muss und den Blickkontakt zum Dirigenten nicht ganz verlieren darf, ist das wirklich nicht leicht. Das ist es aber auch genau, was die Oper für mich so reizvoll macht. An der Rampe zu singen ist veraltet und langweilig. Oper braucht schauspielerischen Einsatz der Sänger, auch wenn das heisst, viele Risiken einzugehen. Meine Meinung.

Nach diesem Bewährungstest kommt die Klavierhauptprobe und die Orchesterhauptprobe. Die Klavierhauptprobe findet in musikalisch reduzierter Form mit Klavier statt und gehört dem Regisseuren. Hier ist Zeit für Feinschliff und nötige Änderungen, die sich in den BOs ergeben haben. Diese Probe ist (fast) immer mit originalem Licht, Kostüm und Maske, und deshalb sehr wichtig für mich, um die in Probekostümen angelegte Rolle im Original auszutesten. Die Orchesterhauptprobe ist dann wieder mit Orchester, aber oft ohne Licht, Kostüm und Maske. Sie dient dem musikalischen Feinschliff.

Schließlich die Generalprobe: Ablauf genau wie eine Vorstellung.


Schritt 4: Die Vorstellungen

Nach dieser monatelangen Vorbereitung geht es dann endlich in's Rampenlicht. An Vorstellungstagen ist man meistens (aber leider nicht immer) frei von anderen Proben. Ich persönlich schlafe an einem Vorstellungstag gerne aus, esse morgens eine große Portion Haferflocken mit Früchten und ein paar Stunden vor der Vorstellung eine große Portion Vollkornnudeln, um die nötige Energie zu haben, und gehe dann Richtung Theater. Vor meiner Maskenzeit überprüfe ich ein bisschen die Stimme und mache mein 'Runner Warm-Up' aus der Nike Training App (unbezahlte Werbung ;-) ). Nach der Maske dann noch einsingen, umziehen, Requisiten überprüfen, und den Ablauf im Schnelldurchlauf durch den Kopf gehen lassen. "Frau Akçağ bitte zur Bühne" - kurz den Kollegen über die linke Schulter spucken (das 'Toi Toi Toi' ist die etwas elegantere Version des tatsächlichen Spuckens und soll den Bespuckten von bösen Neidgeistern befreien), und der schönste Teil meines Berufes beginnt.




Die Arbeit, die hinter einer einzigen Produktion steckt, ist also sehr intensiv und braucht einen langen Vorlauf. Neben Bühnenbildnern, Maskenbildnern, Kostümbildnern, Regisseur, Regieassistenz, Dirigent, Korrepetitoren, Orchester, Dramaturgie und Bühnentechnikern ist meine beschriebene Arbeit als Sängerin nur ein kleiner Teil des Ganzen.

Ich bin jetzt mal so einfallslos und greife auf die berühmte Eisberg-Metapher zurück:

What you see vs. what you don't see.

© macrovector
success is an iceberg (© macrovector)



Die vier magischen Momente einer Produktion

Nachdem ich die letzen Minuten versucht habe, euch eine Art Theateralltag aufzuzeigen, möchte ich euch noch beschreiben, welche Tage für mich persönlich nicht mit dem Wort 'Alltag' beschrieben werden können. Es sind vier Tage, auf die ich mich in jeder Produktion besonders freue und an denen ich jedes Mal eine gewisse Magie verspüre.


1. Das Konzeptionsgespräch

Das erste Mal kommt das komplette Team zusammen, und das Regieteam stellt die Inszenierungsidee vor. Man sieht ein Modell der Bühne, Skizzen der Kostüme, und erfährt, was die nächsten Wochen auf einen zukommt. Bisher hatte ich das Glück, Konzeptionsgespräche immer voller Tatendrang und Motivation zu verlassen.



2. Die erste Bühnenprobe

In der ersten Probenphase hat man noch nicht die Hauptbühne zur Verfügung, das würde in dem straffen Zeitplan eines Theaters nicht funktionieren. Man ist lange auf einer Probebühne, auf der Markierungen der originalen Bühne eingezeichnet sind, um alles grob stellen zu können. Der erste Tag auf der richtigen Bühne ist für mich immer eine Art Befreiung. Endlich sieht man das originale Bühnenbild, kann sich richtig ausprobieren und ein Gefühl für das Endprodukt der Inszenierung bekommen.

Bühnenprobe "Così fan tutte", Prinzregententheater


3. Die Orchestersitzprobe

Diese Probe liebe ich so, weil es für mich als junge Sängerin einfach immer etwas ganz Besonderes ist, mit Orchester zu singen. Nachdem man wochenlang mit Klavier geprobt hat, kommt hier endlich der ursprünglich vom Komponisten angedachte Klang auf einen zugeschossen. Ein Gefühl, als ob mir die ganze Welt zu Füßen liegt.

Orchestersitzprobe "Così fan tutte", Prinzregententheater, Münchener Kammerorchester


4. Die Premiere

Offensichtlich, oder? Nach einer so langen, intensiven Arbeit ist die Premiere die Spitze des Eisbergs (hoffentlich). Die Anspannung, das erste Mal das Endprodukt zu präsentieren, und nicht zu wissen, wie es ankommen wird, ist Adrenalin pur. Vom Weg zur Maske über den ersten Gang auf die Bühne bishin zum Schlussapplaus, alles ist magisch an diesem Tag.

Premiere "Coraline", Opernhaus Zürich


 

Ich hoffe, dass ich damit einige Fragen zum Thema Opernalltag beantworten konnte. In meinem nächsten Beitrag geht es weiter mit dem Alltag als Gesangsstudentin.

Das letzte Wort überlasse ich Loriot:




P.S.: Leider gibt es noch keine Funktion, direkt auf eure Kommentare antworten zu können. Ich nehme sie mir aber zu Herzen und freue mich darauf, weitere Fragen oder Anregungen zu bekommen. Liebe Valentina, auf deinen Kommentar hin habe ich mir selbst widersprochen und mich an den Begriff Alltag gewagt ;-)

239 Ansichten2 Kommentare

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2 Comments


Céline Akçağ
Céline Akçağ
Jun 14, 2020

Als Antwort auf Alex's Kommentar: - Momentan sind es noch nicht sehr viele Opernproduktionen. Innerhalb meines letzten Masters hatte ich zwei Produktionen pro Spielzeit, und das zieht sich momentan auch so fort. Diese Spielzeit waren es zwei Gastverträge, nächste Spielzeit ist zwar noch offen, sieht aber auch nach zwei Gastverträgen aus, übernächste Spielzeit sieht es nach vier Produktionen aus. Mehr darf ich noch nicht verraten :-) Aus erfahreneren Erzählungen schafft man angeblich bis zu 14 (!) Produktionen pro Spielzeit - wie, ist mir noch nicht ganz klar 😂 - Die Gage zu verhandeln ist ein schwieriges Thema als junge Sängerin. Man traut sich oft nicht, etwas zu verhandeln, weil man als Berufseinsteigerin Jobchancen nicht verlieren will. Im besten Fall hat man eine gute…

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Alex Wltzk
Alex Wltzk
Jun 12, 2020

Deine vier magischen Momente kommen sehr lebendig rüber!

Und kann ich auch erahnen, wenn man sich oft mehrere Monate quasi alleine auf diese Momente vorbereitet, wie aufregend die folgenden Momente sein müssen, wow.

Ist ein langer Atem von nöten 😋

Wie viele Stücke singst du pro Jahr ungefähr? Ich weiß das variiert, aber so die letzten Jahre?


Und wie ist das mit der Gage? Wie wird die ausgehandelt? Und dann alles auf einmal oder in Stücken? Bei bis zu sechs Monaten Vorbereitung ohne regelmäßiges Einkommen... schwierig?

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