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AutorenbildCéline Akçağ

"Was machst du eigentlich?" - Fragen, die öfters meinen Weg kreuzten

Aktualisiert: 6. Juni 2020

„Du studierst Gesang? Das heisst, wenn ich als Medizinstudentin in die Bibliothek lernen gehe, dann gehst du in dein Zimmer und singst einfach?“

Wer so eine Aussage als Sängerin noch nie gehört hat, soll sich bitte bei mir melden. Wir Kulturschaffenden vergessen oftmals, dass unser Job für die Mehrheit nicht normal ist und nur die Wenigsten eine Ahnung davon haben, wie unser Leben eigentlich aussieht. Ich sage bewusst nicht Alltag, denn so etwas gibt es in unserem Beruf meiner Meinung nach nicht – sonst könnte man in ein paar wenigen Sätzen zusammenfassen, was wir eigentlich den ganzen Tag so machen.

Ich werde von Menschen oft mit großen Augen angestarrt, wenn ich meinen Beruf erwähne. Ich bin aber kein Fabelwesen, keine Diva, keine Ausserirdische, kein Wunderkind. Ich bin ein Mensch mit einer großen Leidenschaft, für die ich jeden Tag zu kämpfen versuche. Manchmal mehr, manchmal weniger erfolgreich.

Mein Blog soll Menschen, die nichts mit diesem Arbeitsumfeld zu tun haben, ein kleines 'hinter den Kulissen' geben. Ich möchte hier betonen, dass ich keineswegs behaupte, die Wahrheiten zu kennen – mein Blog ist weder wissenschaftlich belegt, noch von einer weisen Person verfasst ;-) er soll nur einen Einblick in meine Gedanken und meine Welt geben. Stellt mir gerne Fragen, widersprecht mir, schickt mir ein High Five – alles ist erwünscht.




„Aber man braucht doch Talent, um Sängerin zu werden – oder kann das jeder?“

Ja, man braucht Talent. Nein, es kann nicht jeder. Talent ist aber ein Wort, mit dem ich immer mehr Mühe habe, je länger ich für diesen Job trainiere. Was heisst Talent? Eine schöne Stimme haben? Eine Rampensau sein? Schnell lernen können? Das „Gesamtpaket“ haben?

Ich habe einmal gehört, als Sängerin braucht man 20% Talent, und 80% Fleiß. Wenn man es so sieht, verstehe ich unter Talent, eine gute Veranlagung zu haben. Also eine schöne Stimme, ein gesunder Körper, ein gesunder Geist, und eine gewisse Intelligenz. Soweit, so gut. Ach ja, Sozialkompetenz schadet auch nicht. Die restlichen 80% sind also trainierbar, sofern die 20% vorhanden sind. Das Training umfasst aber nicht nur die Gesangstechnik, sondern auch Training bzw. Bildung in Musikgeschichte, Geschichte, Musiktheorie, Stilistik, Instrumentenkunde, Fremdsprachen, Bühnensprechen, Schauspiel, Sport, Blattlesen, Rhythmus, und dann die Dinge, die man nur teilweise im Studium lernen kann: Bewerbungen schreiben, Selbstvermarktung (Homepage, social media), Kräfteeinteilung im Theateralltag, usw.

Nach den 20% Talent und 80% Fleiß kommt dann die Frage, die man eigentlich frühestens am Ende des Studiums beantworten kann: Mag ich diesen Lifestyle überhaupt?

Man braucht also Talent, Fleiß, UND die Lust auf diesen Lifestyle – was das auch immer heißen mag.


„Wie kommt man als junger Mensch dazu, Oper zu machen?“

Bei mir ist die Antwort leicht: meine ganze Familie besteht aus klassischen Musikern. Die Tür zu Mozart & co. wurde mir dadurch schon als Baby geöffnet, es war für mich nie eine fremde Welt. Als Teenager wäre ich trotzdem nie auf die Idee gekommen, eine Oper auf mein iTunes zu laden (ja, Spotify existierte damals noch nicht). Britney Spears, Christina Aguilera, Enrique Iglesias, Avril Lavigne, Lifehouse, Blink 182, Eminem, Cunning Linguists, Fanta 4, Hilltop Hoods, Masta Ace, Run DMC – etwa in der Reihenfolge – begleiteten meine Jugendjahre. Trotzdem faszinierte mich die Welt der Oper mit den Jahren immer mehr.

Es ist ein Zusammentreffen von Musik, Schauspiel, Bühnenbild/-technik, Tanz, Kostümen, usw., welches in Kombination eine Explosion der Emotionen verursachen kann. KANN. Opernbesuche haben mich auch schon gelangweilt, genauso wie ich auch schon bei einem Film eingeschlafen bin.

Und das ist schon das erste Problem der Oper: Junge Menschen denken, wenn sie einmal in der Oper waren, können sie sagen, ob sie es mögen oder nicht. Könnt ihr grundsätzlich sagen, ob ihr Filme mögt oder nicht, nachdem ihr einen einzigen Film gesehen habt? Was ist, wenn dieser eine Film 'Der Teufel trägt Prada' war, du aber eher ein 'Die Hard' Typ bist? Oper ist vielfältig, noch vielfältiger als Kino, und ich behaupte, dass jeder eine Opernvorstellung finden würde, die ihm gefällt. Es fehlt nur die Anleitung.


„Ich möchte so gerne mal in die Oper, um zu schauen, ob das was für mich ist. Kannst du mir sagen, was man anschauen sollte?“

Schwierig. Ersetze ‚Oper‘ mit ‚Kino‘, und die erste Frage wäre: Auf welches Genre hast du denn Lust? Einen Oper-Neuling kann man aber nicht fragen, welches Genre, geschweige denn welche Epoche ihm am meisten zusagt.

Ich tippe dann eigentlich immer auf Romantik. Nicht nur, weil ich aus dieser Epoche mindestens eine Million Opern liebe, sondern weil ich denke, dass es emotional am leichtesten zugänglich ist. ‚Werther‘ von Jules Massenet zum Beispiel. Viele lesen in der Schule ‚Die Leiden des jungen Werthers‘ von Goethe – schaut die Oper dazu! Wie toll Goethe auch sein mag, als Teenie habe ich sicherlich keine Träne wegen diesem Buch vergossen. Dann habe ich die Oper geschaut, und zack, eine Tempopackung weniger in meinem Schrank.

Wer von euch hat schon einmal ein Buch gelesen, und daraufhin den Film gesehen? Und wie oft dachtet ihr "naja, das Buch war besser"? Sucht euch doch einfach mal ein Buch, das ihr gelesen habt, und schaut eine Oper dazu, und dann beobachtet, was es mit euch macht. Wenn ihr Hilfe braucht, um eine Oper mit Romanvorlage zu finden, meldet euch gerne!


„Wenn du mit deiner Leidenschaft Geld verdienst, machst du es dann fürs Geld oder für die Leidenschaft?“

Warum ‚oder‘? Klar, wenn man seine Leidenschaft zum Beruf macht, geht es nicht mehr nur um Spaß, sondern auch um Professionalität. Den Großteil der Zeit macht es Spaß, aber schlussendlich ist es ein Job, der auch viele negative Seiten hat – wie jeder andere Job auch. Und glaubt mir: Wenn man diesen Job nicht liebt, dann macht man ihn nicht. Dafür sind die Opfer zu groß. Die finanzielle Unsicherheit, das Leben aus dem Koffer, die Machtspielchen, der Rassismus (Stichwort Type-Casting), die psychische Belastung; das sind u.a. Punkte, die wahrscheinlich jeder Sänger früher oder später erlebt.

Wir nehmen das alles in Kauf, weil wir die Leidenschaft für den Job haben. Weil die Bühne, das kreative Miteinander, die Liebe zur Musik, das Schauspielern, das Singen, das emotionale Verausgaben, und und und, einfach überwiegt.

Ich behaupte: Niemand singt ohne Leidenschaft fürs Geld, und es sollte kein Berufssänger ohne Geld für die Leidenschaft singen.


 

Jetzt seid ihr dran:


Stellt mir Fragen! Keine Frage ist zu offensichtlich oder zu dumm. Ich möchte hier eine Plattform bieten, um meinen Beruf zu entmystifizieren.






227 Ansichten2 Kommentare

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2 Comments


Alex Wltzk
Alex Wltzk
Jun 06, 2020

Klasse Idee und toller Einstieg!

Auch ich habe die eine oder andere "nervige bzw. dumme" Frage gestellt, als wir uns kennen lernten. Ich denke das wird nun wieder passieren ;)

Du übst eine unkonventionelle Berufung aus. Finde ich interessant und spannend. Werde (d)ich definitiv weiter verfolgen :)


Der Vergleich zwischen Oper und Kino empfinde ich als sehr hilfreich. Auch wie du zu deiner Leidenschaft gefunden hast. Verständlich und gut geschrieben. Gerne weitere Beiträge!

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Lorenz Kerscher
Lorenz Kerscher
Jun 06, 2020

Tolle Initiative und sehr schöner Startbeitrag! Für manche ließe sich der Zugang zum klassischen Gesang vielleicht auch über das Lied ebnen, das in Volkstum, Pop, Songwriting, ja im Grundsatz ähnlich ausgestaltet ist. Da gibt es m.E. fließende Übergänge und auch die Möglichkeit, sehr interessante gemischte Programme zu gestalten.

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